- minoische Kultur: Stadt und Palast
- minoische Kultur: Stadt und PalastUm 2000 v. Chr. wandelte sich die minoische Kultur Kretas in spektakulärer Weise. Es entstanden nun Palastzentren in Knossos, Phaistos und Mallia, von denen aus offenbar die Verwaltung größerer Bereiche der Insel Kreta organisiert wurde. Diese Palastzentren erfüllten zugleich religiöse kultische Funktionen und bestimmten auch das wirtschaftliche Leben. Sie erhielten innerhalb der prämonetären, auf den Naturalientausch gründenden Wirtschaftsweise der minoischen Kultur eine zentrale ökonomische Funktion: Da sie über beträchtliche Magazinkapazitäten verfügten, waren sie zuständig für die Sammlung und Lagerung der verschiedensten, nicht zuletzt landwirtschaftlichen Güter und deren Weiterverteilung. Gerade diese neuen ökonomischen Funktionen der Paläste führten zur Ausbildung eigenständiger minoischer Schriftsysteme. Gleichzeitig blühte das stark spezialisierte, an die Paläste und deren näheren Umkreis gebundene Kunsthandwerk auf, das neuen wohlhabenden Abnehmerschichten verpflichtet war.Da - soweit die archäologischen Befunde im Augenblick Aussagen zulassen - Vorläufer für die Palastanlagen auf der Insel Kreta fehlen, dürfte sich die Wandlung der minoischen Kultur zu einer Palastkultur unter dem Eindruck des Vorbildes der Hochkulturen Ägyptens und Vorderasiens, mit denen die Minoer in Kontakt standen, vollzogen haben. Der architektonische Typus des minoischen Palastes, wie er zunächst am besten in Knossos und Phaistos bekannt ist, scheint dagegen eine rein innerkretische Entwicklung darzustellen. Typisches Merkmal eines minoischen Palastes ist der Zentralhof, um den sich die einzelnen Palasttrakte ordnen und von dem aus die verschiedenen Funktionseinheiten wie Repräsentationsräume, kleine Heiligtümer, Werkstätten, Magazine und Wohnräume zugänglich sind. An der Westseite liegt eine weitere Hofanlage, die gewöhnlich unregelmäßig gepflastert ist. Leicht erhöhte, schmale, aus rechteckigen Steinplatten gefügte Wegführungen strukturieren diese Hofanlage und öffnen den Zugang zur Westseite des Palastes, die als repräsentativere Fassade ausgebildet ist. Das Mauerwerk besteht aus Bruchstein und luftgetrockneten Lehmziegeln. Ein hölzerner Fachwerkrahmen sorgt für die nötige Stabilität und Elastizität des architektonischen Gefüges. Da die Insel Kreta in einer der am stärksten erdbebengefährdeten Zonen des Mittelmeergebietes liegt, war eine solche Bauweise notwendig. Holz wurde auch für Deckenkonstruktionen, für Säulen und zum Teil für Treppenhäuser verwendet. Statisch stärker belastete Mauerpartien und repräsentative Fassaden konnten aus regelmäßig geschnittenen Steinquadern erbaut werden. Die Quaderbauweise wurde vielleicht in der Zeit nach 2000 v. Chr. von Ägypten übernommen.Gegen 1700 v. Chr. fielen die minoischen Paläste einer Erdbebenkatastrophe zum Opfer, wurden aber sehr schnell und in noch prächtigerem Maßstab wieder aufgebaut. Bauweise und Grundrisskonzeption der neuen Paläste offenbaren weit gehende Kontinuität. Die Anordnung um den Zentralhof herum bestimmte weiter das architektonische Gefüge. Ein von der Mitte ausgehendes Raumgefühl, das sich auch in anderen Zweigen minoischer Kunst offenbart, kennzeichnet die Architektur. Typisch ist ein unregelmäßiges Wuchern der Raumeinheiten vom Zentrum nach außen, sodass kaum eine geschlossene Außenfassade entsteht, die als Repräsentationsarchitektur hätte wirken können. Geschlossene, monumentale Fronten entstehen allenfalls an der Westseite in Richtung zum Westhof und in den Eingangsbereichen. Es gibt keine Ausrichtung auf ein Residenzzentrum hin. Bestimmend bleibt vielmehr ein Nebeneinander unterschiedlicher Palasttrakte, die allenfalls in der Anordnung bestimmte funktionale Schwerpunkte erkennen lassen. So liegen in Knossos, dem größten minoischen Palast, die Wohnräume, die Aufenthaltsräume sowie die sanitären Einrichtungen, zum Beispiel eine Toilette mit Wasserspülung und Bäder, alle im Südosten, die Werkstätten und Magazine im Nordosten, die Repräsentations- und Kulträume an der Westseite des Innenhofes. Eine westlich davon liegende, große Magazinreihe wird durch einen Korridor abgegrenzt. Zusätzlich zum Eingangssystem über den Westhof führen Eingänge durch eine Pfeilerhalle im Norden und über einen gedeckten repräsentativen Zugang von Süden her in den Palast.Mehrstöckigkeit ist die Regel. Die Räumlichkeiten in den Erdgeschossen sind, nicht zuletzt aus statischen Gründen, meist klein und verwinkelt. In Knossos konnte der Ausgräber Sir Arthur Evans Indizien finden, die vermuten lassen, dass im oberen Stockwerk des Westflügels größere, architektonisch aufwendiger gestaltete Säle vorhanden waren. Treppenhäuser ermöglichten die Verbindung zwischen den Geschossen, Lichtschächte sorgten für Belüftung und ausreichende Beleuchtung der Raumeinheiten.An der nordwestlichen Peripherie des Palastes von Knossos liegt eine Schautreppe. Bei diesen typischen Architekturelementen minoischer Paläste handelt es sich um eine flache Stufenanlage, die keine Zugangsfunktion erfüllt, sondern als Versammlungsplatz einer größeren Menschenmenge dient, die von den Stufen her Hofzeremonien oder auch religiösen Schauspielen, Opfern oder ähnlichen Handlungen zuschauen konnten. Derartige Anlagen könnten durchaus Vorstufen der späteren griechischen Theater sein.Die Ausgrabung des Thronraumes in Knossos stellt einen der seltenen Glücksfälle minoischer Archäologie dar. Hier befindet sich der gut erhaltene, schlichte Alabasterthron des Herrschers von Knossos. Wandmalereien mit der Darstellung liegender Greifen zu beiden Seiten verdeutlichen den Schutz der Götter, unter dem der Herrscher steht. Aus Alabaster gefügte Sitzbänke, auf denen Hofbeamte Platz nehmen konnten, umlaufen die übrigen Wände des Thronraumes.Die minoischen Paläste standen nicht isoliert, sondern bildeten die Zentren von Stadtsiedlungen. Die Stadt als Siedlungssystem scheint gleichfalls eine Schöpfung aus der Zeit um 2000 v. Chr. zu sein. Größere Teile von Stadtanlagen konnten in Knossos, Mallia und Kato Zakros freigelegt werden, wobei allerdings die überwiegende Zahl der bisher ausgegrabenen Stadthäuser in die minoische Neupalastzeit fällt, das heißt in das 16. und 15. Jahrhundert v. Chr. Die Paläste sind nicht gegen die Stadtsiedlung abgegrenzt, sondern Teil eines eng verflochtenen städtischen Gefüges. Dies unterscheidet Kreta deutlich von den Kulturen des Nahen Ostens und auch von Ägypten. Die Hausarchitektur folgt im Allgemeinen dem Vorbild der Paläste. Vor allem im 16. und 15. Jahrhundert entstanden in Knossos oder Mallia Stadtvillen, deren Architektur durch Quaderbauweise, Pfeiler und Säulenstellungen, Lichthöfe und auch durch Wandmalereien gekennzeichnet ist. Die minoische Kultur kennt nicht nur urbane Zentren mit einem Palast im Mittelpunkt wie Knossos, Mallia oder Kato Zakros, sondern auch Städte, denen ein Residenzzentrum zu fehlen scheint. Hierzu zählen Städte wie Palaikastro im Osten der Insel, Tylissoswestlich von Knossos sowie die Siedlungen auf den Inseln Mochlos und Psira. Daneben entstanden eher dörfliche Siedlungseinheiten, die in einigen Fällen ein residenzartiges Zentrum aufweisen können. Hier wäre etwa Gurnia am Isthmus von Hierapetra zu nennen, ein bereits zu Beginn des Jahrhunderts ausgegrabenes Dorf kleiner und mittlerer Gewerbetreibender, oder die Siedlung Peyras östlich von Sitia.Bereits seit dem Beginn des 2. Jahrtausends v. Chr. lässt sich auf Kreta der systematische Ausbau eines Straßen- und Wegenetzes verfolgen: Gerade im heute dünner besiedelten Osten der Insel sind noch Wegtrassen aus minoischer Zeit erhalten und es haben sich an einigen topographisch markanten Punkten auch Wegstationen und Wachposten nachweisen lassen, die einen hohen Organisations- und Kontrollgrad voraussetzen.Das Siedlungssystem war offensichtlich hierarchisch gestaltet: An der Spitze standen die Palastzentren mit den sie umgebenden Städten; es folgten Städte ohne Palast (soweit bekannt), dorfartige Strukturen mit Kleinresidenzen, Landhäuser und verstreute Kleinsiedlungen. Die politische Struktur des minoischen Kreta lässt sich allerdings bislang nicht endgültig definieren. Von den Palästen aus - Knossos, Phaistos, Mallia, Kato Zakros, Galatas - wurden mit Sicherheit umfangreiche, natürlich begrenzte Territorien regiert. Es bleibt dabei aber offen, ob über dieser Herrschaftsebene eine vielleicht lockere Oberherrschaft vom Palast von Knossos aus über die gesamte Insel existierte. Die griechische Überlieferung spricht von der Herrschaft des Königs Minos über Kreta und darüber hinaus von seiner Thalassokratie, seiner Seeherrschaft in der Ägäis. Gerade Letzteres würde eine Zentralgewalt beinhalten. Für eine derartige Hypothese sprechen auch archäologische Argumente: Kretische Städte und Paläste waren in der Regel nicht befestigt, innere Konflikte also offenbar weit gehend ausgeschaltet. Eine Bedrohung von außen war tatsächlich durch die Präsenz starker Seestreitkräfte, die dann ja zentral gelenkt worden sein müssten, ausgeschlossen. Für eine solche Hypothese würde auch sprechen, dass der Palast von Phaistos von der Altpalastzeit bis zur Neupalastzeit in seinem Umfang deutlich verkleinert wurde, während gleichzeitig die Fläche und Prachtentfaltung des Palastes von Knossos zunahm. Die Vermutung liegt nahe, dass Knossos in der Neupalastzeit zwischen 1700 und 1450 v. Chr. die politisch dominierende Macht auf der Insel war.Um 1450 v. Chr. beendete eine inselweit nachweisbare Katastrophe, der Paläste, Städte und Landhäuser zum Opfer fielen, die kulturelle Blüte Kretas. Die Ursache bleibt bis heute unklar. Eine Naturkatastrophe lässt sich nicht ausschließen, wenngleich die Art der Zerstörung - Gebäude und Siedlungen fielen Bränden zum Opfer - eher an kriegerische Auseinandersetzungen denken lässt. Möglicherweise spielten innere Konflikte eine Rolle, deren Ursache unbekannt ist. Aber auch ein Angriff vom griechischen Festland aus, wo sich seit etwa 1600 v. Chr. in den Residenzen der mykenischen Kultur ein neues politisches Zentrum herausgebildet hatte, ist denkbar, da die minoische Kultur in der Folge durchaus Einflüsse der mykenischen Kultur erkennen lässt. Nur der Palast von Knossos überdauerte die Katastrophe von 1450 v. Chr. ohne größere Schäden. Er wurde erst gegen 1375/1350 v. Chr. gleichfalls durch eine Brandkatastrophe zerstört, womit die minoische Palastkultur endete.Prof. Dr. Hartmut MatthäusDemargne, Pierre: Die Geburt der griechischen Kunst. Die Kunst im ägäischen Raum von vorgeschichtlicher Zeit bis zum Anfang des 6.vorchristlichen Jahrhunderts. München 1965.Matz, Friedrich: Kreta und frühes Griechenland. Prolegomena zur griechischen Kunstgeschichte. Neuausgabe Baden-Baden 31979.
Universal-Lexikon. 2012.